Kleiner großer Bordeaux

Es gibt sie noch, die Orte im Bordeaux, wo große Tradition nicht mit Prunk und Pathos gefeiert wird, sondern in stiller Überzeugung und handwerklicher Präzision. Einer davon ist Clos Fontaine, ein winziges Weingut in der Appellation Francs Côtes de Bordeaux, das seit 2012 von den Brüdern Jan und Florian Thienpont geführt wird – Söhne von Dominique und Neffen der berühmten Thienpont-Dynastie (Vieux Château Certan, Le Pin). Doch trotz dieser großen Namen gehen die zwei ihren eigenen Weg: handwerklich, bescheiden und mit dem Ziel, ehrliche Weine voller Seele zu schaffen. Auf kaum fünf Hektar wurzeln hier alte Merlot-Reben, deren Durchschnittsalter weit über 60 Jahre liegt, auf den kalkhaltigen Hügeln östlich von Saint-Émilion – einem Landstrich, den man nicht umsonst die Toskana von Bordeaux nennt. Die Brüder verzichten vollständig auf Herbizide und Pestizide, arbeiten fast ausschließlich von Hand, vergären spontan und lassen den Wein in gebrauchten 500-Liter-Fässern reifen, die einst im Keller von Vieux Château Certan lagen. Ihr Clos Fontaine zeigt sich duftig und floral, mit feinen Noten roter Beeren, Pflaume und einem Hauch Veilchen. Am Gaumen ist er seidig, geschmeidig und präzise, getragen von klarer Frucht, sanften Tanninen und kühler Mineralität. Nichts Lautes, nichts Überreifes – vielmehr eine stille Schönheit, die an einen frühen Morgen im bordelaiser Herbst erinnert: kühl, lebendig, mit einer Ahnung von Wärme. Im Nachhall bleibt er zart, feinwürzig und wunderbar ausgewogen – ein Wein, der nicht imponieren will, sondern verführt. Er zeigt, was Bordeaux auch sein kann: authentisch, charaktervoll, zugänglich und mit Herz gemacht. Am Tisch fühlt er sich besonders wohl zu Wildgerichten, geschmortem Geflügel oder Pilzragout – Speisen, die seine seidige Struktur und feine Würze aufgreifen. Ein kleiner großer Bordeaux, der beweist, dass Echtheit manchmal das Schönste ist, was man einem Wein mitgeben kann.